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Xiaoshanzi2013 alias Piet Trantel – 28. April 2013
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城市健身器材 – Stadtgesundheitsgeräte
Es gibt unterschiedliche Merkmale, an denen man den Grad menschlicher Zivilisation messen kann. An erster Stelle ist wohl der wirtschaftliche Reichtum zu nennen, den man aus dem Weltraum auch an der Helligkeit der nächtlichen Beleuchtung in den Städten erkennt. Die zunehmende Abhängigkeit der Kultur vom Wohlstand und ihre Industrialisierung gehören ebenso dazu. Aber auch die sogenannten Zivilisationskrankheiten sind untrügliche Zeichen. Und deshalb gibt es in der Stadt Fitnessgeräte.
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Fitness, das klingt schon nach Studio und Lifestyle, nicht mehr so altmodisch wie der Trimmpfad im Wald. Auf chinesisch dienen die Geräte immer noch der Ertüchtigung eines gesunden Körpers. Da fehlt dann nur der gesunde Geist, um den Menschen komplett zu machen. Fitness in der Stadt, das ist kein Wunder. Dafür muss man etwas tun, weil man ja kaum Gelegenheit hat, sich zu bewegen. Aber Sport im Dorf, das stimmt doch irgendwie nicht. Moment mal, ich erinnere mich da an meine Eltern. Die waren froh, wenn sie sich von der Arbeit beim Mittagsschlaf ausruhen konnten und abends müde ins Bett fielen. Während ich nach Hausaufgaben und Helfen auf dem Hof jede Gelegenheit genutzt habe, um Fussball zu spielen. Schon auf dem Schulhof der Volksschule gab es ein Klettergerüst, Schwebebalken, Schaukel und Reckstangen in bunten Farben. Nach dem langen Stillsitzen im Unterricht war der Bewegungsdrang in der grossen Pause nicht mehr zu bremsen. Heute könnte man sich fragen, was der DFB mit seinem Freizeitsport und die Schule mit ihrer Bildung zum Wirtschaftswunder beigetragen haben?
Jahrzehnte später zeitigt sich dieses Wirtschaftswunder in China. Und man erkennt es wieder an farbenfrohen Fitnessgeräten, die angestachelt durch die olympischen Spiele in Beijing wahrscheinlich einen Aufschwung in allen Städten erlebt haben. Ich habe mir einmal davon eine ganze Reihe, die entlang des Flusses aufgestellt wurden, angesehen. Als erstes fällt mir auf, dass sich auf dem langen schmalen Streifen öffentlichen Parks am Fluss mehrere Generationen dieser Geräte versammeln, deren Alter man am Grad ihrer Abnutzung oder Beschädigung erkennt. Schlechte Qualität ist ein Grund, absichtliches Beschädigen oder teilweiser Abbau des Materials, um es zu verkaufen, ein anderer, und zuletzt das Benutzen der Geräte.
Es ist Mittag, also Essenszeit, deshalb sind kaum Leute anzutreffen. Ich fotografiere einige Dutzend Geräte, bis mir auffällt, dass man bei fast allen FitnessübungenKränen den Kontakt zum Boden verliert. Aber das scheint wohl die Kunst im Sport und Turnen oder eben bei diesen Übungen zu sein, dass man dabei die Anziehungskraft der Erde überwindet. Das geschieht auch mit Hilfe von Kränen beim Bau neuer Hochhäuser auf der anderen Seite des Flusses. Wenn man sich eine Wohnung leisten kann und darin wohnt, dann schwebt man ruhelos in luftiger Höhe in einem solchen Betonloch genauso wie beim Schwung und Stütz am Barren. Bei einem anderen Gerät stellt man sich auf hin- und her schwingende Pedalen und imitiert Laufbewegungen. Ich kann mir nicht helfen, aber die Trittflächen erinnern mich an Gas- und Bremspedal in einem Auto. Vielleicht gehe ich beim Anblick dieser Stadtmöbel mit meinen Assoziationen zur Bau- und zur Automobilindustrie ein bisschen weit. Aber mir fällt es schwer, den Themenkreis auf Sport und Gesundheit zu beschränken und dabei nicht die Interessen von Wirtschaft und Politik zu sehen.
Als Künstler würde ich sogar noch weiter gehen und einen Zusammenhang zu zwei Aktionen herstellen, die geschichtlich in der Zeit um die Ölkrise der 70er Jahre realisiert wurden.
Auf dem linken Bild sieht man den Citroen, den Ulay bei der Performance „Relation in Movement” 1977 anlässlich der Biennale de Paris 16 Stunden lang auf einem quadratischen Platz im Kreis fuhr, bis der Tank leer war, während Marina Abramovic die 2226 Runden mit einem Megaphon zählte. Auf dem rechten Foto von Gianfranco Gorgoni erkennt man die kreisförmigen Spuren, die Michael Heizer mit einem Rennmotorrad in den Wüstensand gezeichnet hat. „Circular surface planar displacement drawing” entstand 1970 in Nevada.
In beiden Aktionen manifestiert sich das Ergebnis der Sublimierung ureigenster Triebe oder Motive, also der Beweggründe als künstlerische Aussage in Form einer Zeichnung. Und beides Mal ist es die Verbrennung von fossilen Brennstoffen, also akkumulierter Sonnenenergie, in einem Motor, der die Bewegung erst möglich macht. Während Heizer das Motorrad mit billigem amerikanischen Benzin als Zeichengerät benutzte, warnten Abramovic und Ulay nach der Ölkrise vor der Vergeblichkeit der Auto-Mobilität und dem Versiegen der Ölquellen in naher Zukunft. So oder so lassen sich beide Arbeiten als Zeichen für die wirtschaftliche Entwicklung und Zivilisation lesen, in der diese entstanden sind.
Wenn man jede menschliche Handlung, jede zivilisatorische Errungenschaft und jeden kulturellen Ausdruck als Zeichen der Zeit deuten kann, dann liegt es vielleicht auch nahe, etwas in eines der Übungsgeräte hinein zu interpretieren, das ich erst auf meinem Rückweg entdeckt habe. Es handelt sich nicht um die beiden Reckstangen am Ufer, sondern eine Zeichnung auf dem nackten Erdboden, die jemand endlos im Kreis schlurfend hinterlassen hat. Genauer betrachtet sind es zwei konzentrische Kreise, die von einem Paar Schuhe in die Erde getreten wurden. Es ist wohl die Spur eines oder mehrerer Rentner, die regelmäßig etwas für ihre Gesundheit tun, indem sie im Kreis gehen. 健走 (jianzou) nennt sich das, also gesund gehen. Ich weiss nicht, wie weit es noch von der Mode des Nordic Walking entfernt ist und der Gerätehersteller, die sich die alten klassischen Ideale in den westlichen Köpfen zunutze machen. Kaum zu glauben, dass diese Ideale einmal in dem heute wirtschaftlich kränkelnden Griechenland zu Hause waren. Kraft durch Freude am Fahrzeug für das ganze Volk, das ist noch nicht so lange her. Nun haben das Ideal und die Industrie den weiten Weg bis hierher gefunden.
Ich sehe darin natürlich auch künstlerische Praxis. So hätte z.B. das „Shuffling Piece” der Fluxus-Künstlerin Alison Knowles aus dem Jahr 1960 auch aussehen können. Oder es ist schlicht ein Zeichen von Kultur im ursprünglichen Sinn des Wortes, das sich von lateinisch colere für pflegen, urbar machen oder ausbilden ableitet.
Neben dem landwirtschaftlichen Bezug haben auch die Begriffe Kolonie und Kult denselben Ursprung. Die indogermanische Wurzel kuel- für (sich) drehen oder wenden legt eine Bedeutung im Sinne von emsig beschäftigt sein nahe. Und andererseits trifft der Kreis auch die Bedeutung von Kultur im chinesischen Verständnis, also von 文化 (wenhua), das wörtlich genommen das Werden eines Zeichens ist. Darüber hinaus versinnbildlicht sich hier die ambivalente Bedeutung eines anderen chinesischen Wortes, nämlich für Bild, also 画 (hua). Darin könnte man ein gerahmtes Feld sehen. Die traditionellen Schreibweisen 畵oder畫oder劃zeigen ein Werkzeug in der Hand, das dieses Feld bearbeitet und verbinden es so mit dem Wort划 (hua), das traditionell auf dieselbe Weise geschrieben wird.
Wenn es mit Rechnen oder der Berechnung verbunden wird计划 (jihua), kommt ein Plan dabei heraus, wie in Planwirtschaft und 5-Jahres-Plan. Nun hat sich die Volksrepublik bereits vor über 30 Jahren mit der Reform der Öffnung von der Planwirtschaft verabschiedet. Und der Plan für jeweils 5 Jahre wirtschaftliches Wachstum heisst inzwischen auch nur noch guideline. Aber was geht das den einzelnen Bürger in dieser Gesellschaft an? Er zieht seine kleinen Kreise und hält sich damit fit. Oder gesund?